«Die Fassaden der Zukunft sind adaptiv»
Fassaden müssen regelrechte Alleskönner sein: Je nach Standort sowie Jahres- und Tageszeit sollen sie Energie gewinnen, Licht hereinlassen oder beschatten. Um solche Zielkonflikte zu lösen, benötigen wir dynamisch veränderbare Fassaden, sagt Urs-Peter Menti, Professor und Co-Leiter des Instituts für Gebäudetechnik und Energie IGE der Hochschule Luzern in der Schweiz.
Herr Prof. Menti, welche Fassade ist Ihnen zuletzt aufgefallen?
Die Fassade eines Geschäftshauses am Bahnhof in Pfäffikon am Zürichsee in der Schweiz: eine dunkle, fast schwarze Glasfassade, die etwa zur Hälfte mit an Seilen vorgehängten, sattgrünen Pflanzen beschattet wird.
Was fasziniert Sie daran?
Glasfassaden waren oder sind im Trend, bringen aber bezüglich Energie und Komfort einige Herausforderungen mit sich. Die vorgehängten Pflanzen schaffen eine Beschattung, die sich saisonal verändert. Zudem leisten die Pflanzen einen positiven Beitrag gegen die Überhitzung im Quartier. Und auch optisch überzeugt die Fassade. Ich frage mich nur, ob diese Lösung – mit dunkeln Gläsern und Pflanzen – für die Nutzenden auch mit Blick aufs Tageslicht gut ist.
Müssen wir uns künftig von grossen Fenstern verabschieden?
Aufgrund der heissen Sommer werden vor allem hohe Glasanteile gegen Süden problematisch. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass ein hoher Tageslichtanteil aus Sicht Energie und Komfort von hoher Bedeutung ist. Aus diesem Grund könnten grosse Fenster eher auf die Nordseite der Gebäude wandern, während an der Südfassade etwas kleinere Fenster sinnvoll sein dürften. Das hängt aber immer auch davon ab, wie man den Sonnenschutz löst. Letztlich geht es um eine Gesamtoptimierung: Solare Lasten im Sommer reduzieren, solare Gewinne im Winter maximieren – und das Tageslicht das ganze Jahr über bestmöglich nutzen. Für mich ist das ein klassischer Zielkonflikt, wie er beim Bauen seit jeher vorkommt.
Könnten flexible Beschattungen, die sich automatisch nach der Sonneneinstrahlung richten, zukunftsweisend seien?
Flexible Beschattungen sind immer zu begrüssen, um den erwähnten Zielkonflikt zu entschärfen. Denn damit kann man Tageslicht und solare Gewinne reinlassen, wenn gewünscht – und solare Lasten vermeiden, wenn nötig. Allerdings genügt Flexibilität alleine nicht. Es muss auch sichergestellt werden, dass die Beschattung jederzeit optimal ausgerichtet ist. Es kann nicht die Aufgabe der Nutzerinnen und Nutzer sein, die Beschattung stets optimal zu betreiben. Darum macht eine Automatisierung Sinn. Das gilt insbesondere auch für die Zeit, in der sich gar keine Nutzenden im Gebäude befinden. Bei Einfamilienhäusern kann das zum Beispiel am Wochenende der Fall sein, bei Bürogebäuden am frühen Morgen.
Gemäss dem Pariser Klimaabkommen müsste Westeuropa bis 2050 CO2-neutral sein muss. Sind wir, mit Blick auf die Gebäudetechnik, auf Kurs?
Ja und nein. Die technischen Lösungen sind bekannt und erprobt. Es ist längst möglich, ein Gebäude ohne CO2-Ausstoss zu betreiben. Doch mit der Umsetzung hapert es noch. In der Schweiz ist bei Neubauten der Anteil an erneuerbaren Energien hoch, bei Sanierungen werden aber noch viel zu oft Öl- und Gasheizungen eingebaut. Exemplarisch gilt das auch für andere Länder Europas und weltweit. Die Herausforderung liegt also im Gebäudebestand. Hier braucht es mehr Wissen bei den Entscheidern, mehr Anreize und vielleicht auch Förderungsmassnahmen.
Wo liegen die Schwerpunkte der Forschung punkto Fassaden und Gebäudetechnik?
Gerade in Städten entstehen im Sommer regelrechte Hitzeinseln. Dies ist für Menschen nicht nur unbehaglich, sondern kann auch zu gesundheitlichen Problemen führen. In diesem Bereich wird viel geforscht: Wie müssen wir Gebäude, Gebäudehüllen und Gebäudetechnik zukünftig konzipieren, damit sie trotz des Klimawandels eine hohe Behaglichkeit für die Nutzerinnen und Nutzer gewährleisten? Ein wichtiges Thema sind die «adaptiven Fassaden»: Diese Fassaden können sich den sich verändernden Umgebungsbedingungen anpassen. So, wie wir im Sommer und im Winter andere Kleider tragen, werden auch die Gebäude in Zukunft je nach Aussenklima unterschiedliche Fassadeneigenschaften aufweisen. Flexible Beschattungen sind eine Facette davon.
Ihr Institut hat ein kostengünstiges Gebäudemonitoring-System entwickelt. Erklären Sie uns die Vorteile kurz.
Ein Energiemonitoring ist wichtige Grundlage, um den Betrieb eines Gebäudes zu optimieren und den Energieverbrauch zu reduzieren. Oft sind aber die Kosten für ein Monitoring höher als die dadurch erzielbaren Einsparungen. Deswegen wird oft von vornherein aufs Monitoring verzichtet. Mit dem von uns entwickelten Konzept können interessierte und versierte Nutzerinnen und Nutzer mit handelsüblichen Komponenten ein einfaches Monitoring-System selbst verwirklichen – und die entsprechenden Auswertungen ohne grossen Aufwand wahrnehmen. So lässt sich das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen optimieren.
Wie lautet der wichtigste Tipp, den Sie Architekten auf den Weg geben möchten?
Architektinnen und Architekten sind Weltmeister, wenn es darum geht, verschiedenste Erwartungen unter einen Hut zu bringen. Mit den neuen Ansprüchen an die Fassade kommen noch zusätzliche Anforderungen auf die Architektur zu. Ich wünsche mir, dass Architektinnen und Architekten dies als Chance erkennen – und nicht als Einschränkung interpretieren. Wer die Anforderungen in den architektonischen Entwurf integriert, kann damit kreativ umgehen.
Fazit: Was unterscheidet die Fassade der Zukunft von jenen, die wir heute sehen?
Der Sonnenschutz erhält eine höhere Bedeutung, die grossen Glasflächen dürften von der Südseite auf die Nordseite wandern und die Fassaden dynamischer werden. Sie können ihre Eigenschaften im Tagesablauf sowie im Jahresgang verändern und sich den Aussenbedingungen anpassen. Zudem kommt es in Zukunft weniger auf maximal optimierte Einzelkomponenten an. Vielmehr müssen wir die Fassade stärker als Gesamtsystem betrachten und optimieren.
Energie- und Gebäudetechnik-Experte
Prof. Dr. Urs-Peter Menti ist Co-Leiter des Instituts für Gebäudetechnik und Energie IGE an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur. Darüber hinaus leitet er unter anderem die Zertifizierungsstelle Minergie Zentralschweiz und vertritt die Hochschule Luzern im Vorstand des Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz NNBS.
Bürohaus in Pfäffikon, Schwyz, Schweiz
Die Oberfläche dieses Bürokomplexes besteht aus dunklem Glas. Doch eine schützende Konstruktion aus Drahtseilen umhüllt sie. Daran wachsen Kletterpflanzen hoch. Diese optimieren die Klimatisierung des Gebäudes und bieten Schutz vor der Witterung.
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